Héctor Wittwer
Pages 71-84
DOI: 10.5840/cultura20074121
ABSTRACT
Starker als andere Teilgebiete seiner Philosophie ist Kants Ethik durch die bemerkenswerte Spannung zwischen ihrem Bezug auf die Tradition und ihrer Orientierung an einem modernen Wissenschafts- und Philosophieverstindnis geprigt. Einerseits beruht die Begriindung der kantischen Moralphilosophie auf einem Begriff der Kausalitit, welcher der mechanistischen Naturwissenschaft seiner Zeit entlehnt ist: Kausale Beziehungen sind strikt gesetzmifBiger Art, und dies muss auch fir die Freiheit des Menschen gelten, wenn diese denn als eine Kausalitit sui generis begriffen werden soll. Dieser Gedanke fihrt auf die Lehre von der Autonomie, d. h. der Selbstgesetzgebung der reinen Vernunft.’ Andererseits war Kant bemiiht, traditionelle ethische Begriffe und Gedanken in seine Moralphilosophie aufzunehmen. Daher ist dic Annahme, Kant habe mit der ihm vorausgehenden ethischen Tradition radikal gebrochen und durch seine kritische Moralphilosophie den Grundstein fiir die moderne Ethik gelegt, nur teilweise zutreffend. Tatsichlich finden sich in Kants LSittenlehre® zahlreiche Elemente, die er dem {berlieferten Denken, insbesondere der christlichen Morallehre entnommen hat. Dies gilt beispielsweise fiir seine kritisch reformulierte Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Diese Lehre ist mit verschiedenen ernst zu nehmenden Schwierigkeiten verbunden. Einige von ihnen sollen im Folgenden erortert werden. Dabei zielen meine Uberlegungen auf zwei Fragen ab. Erstens ist zu kliren, ob das Postulat der Unsterblichkeit der Seele mit den grundlegenden Thesen der kritischen Philosophie vereinbar ist. Hier geht es, mit anderen Worten, darum, ob die Annahme der Unsterblichkeit der | Zur Bedeutung der Annahme des nomologischen Charakeers der Kausalitit fiir Kants Exthik vel. v. Verf,, Uber cinige Voraussetzungen und Ergebnisse der Ethik Kants®, in: Philosaphisches Jahrbuch 110 (2003), S. 23-45, v. a. S. 29ff. u. 42.